Mein Credo

Da ist nichts. Nichts. Außer einer Puppe aus Holz, Latex oder Stoff. Oder ein Alltagsobjekt. Vielleicht habe ich mein Material auf der Straße gefunden. In der Küchenschublade. In einem Supermarkt. Vielleicht wurde es von einem Künstler gestaltet. Vielleicht habe ich es selbst geschaffen. Es ist, was es ist: Material. Noch kein Theater.

Theater wird es, wenn das Material mein Gegenüber wird. Ich will wissen, was es ist, wie es ist. Ich teste es, ich spiele damit herum, ich bin neugierig auf seine Möglichkeiten. Ich probiere alles aus. Auch das Unmögliche. Ich fange an, mit ihm zu kommunizieren. Ich entwickle Empathie.

Ich übertrage die Gesetze der Schwerkraft. Ich zerlege eine Bewegung in winzige Bausteine. Ich trainiere, diese Bausteine in Sekunden zusammenzusetzen und abzurufen. Sekundenschnell und präzise. Ich zwinge der Materie nicht meine Idee auf. Meine Idee folgt ihren Möglichkeiten.

Und so wird in der Zwischenwelt des Theaters das Leblose zu einem Lebewesen. Es atmet. Es hat Sinne, es hat Gefühle, es hat Bewusstsein, einen Charakter. Es reagiert menschlich. Es sucht sich ein Gegenüber. Und findet seine Geschichte. Es kann eine griechische Tragödie spielen. Oder Kaspertheater. Oder beides. Es kann sterben.

Dann löst sich der Zauber. Aus dem Lebewesen wird, was es ist: Materie. Die Seele fährt aus dem Körper – und fährt im nächsten Moment wieder in sie hinein. Puppen sind unsterblich.